Bügelfreiheit und Knitterfreiheit

Manchmal werden Textilien (Hemden, Bettwäsche …) als bügelfrei und/oder knitterfrei beworben.

Ich frage mich:

– Sind Bügelfreiheit und Knitterfreiheit das Gleiche?

– Wie wird/werden Bügelfreiheit und Knitterfreiheit erreicht? Kommt es aufs Material, die Webart und/oder chemische Zusätze an?

 

Wenn man auf der Internetseite der Modemarke „Walbusch“ in der Rubrik „BUSINES HEMDEN“ die Unterrubrik „Bügelfreien Hemden“ anklickt, erscheinen mehrere Produkte. Sie alle tragenden den Wortbestandteil „Extraglatt-Textilien“. Wenn man runterscrollt, erscheint zudem folgender Text: https://www.walbusch.de/business-hemden/buegelfreie-hemden/c/01.01.01

„Das Qualitätsgeheimnis unserer bügelfreien Hemden liegt in der Verarbeitung hochwertiger Baumwolle und einer besonderen Textilveredelung. Für unsere Extraglatt-Hemden verwenden wir oft die langstapeligen Baumwollfasern, die für eine angenehme, glatte Oberfläche und einen leichten Mattglanz des Stoffes sorgen. […] Die Extraglatt-Textilien werden darüber hinaus unter Streckung und Spannung mit einer hochwirksamen „Feuchtvernetzung“ veredelt. Diese führt dazu, dass sich der Stoff der bügelfreien Hemden nach dem Waschen wie von Zauberhand automatisch wieder in Form zieht. So können Sie das Bügeleisen stehen lassen […]“

Im Text wird also angesprochen:

– dass Baumwolle verwendet wird,

– dass die meisten verwendeten Baumwollfasern lang sind,

– dass einzelne Hemdstücke oder das zusammengenähte Hemd (das ist mir nicht klar) gestreckt und gespannt werden/wird, und

– dass während des Streckens und Spannens eine sog. „Veredlung“ mittels sog. „Feuchtvernetzung“ stattfindet.

 

Da die „Feuchtvernetzung“ nicht auf einzelne Fäden, sondern auf eine aus Fäden bestehende Stoff-Fläche angewendet wird, hat sie anscheinend nichts damit zu tun, wie die Fäden miteinander verwebt werden, sondern ist etwas anderes.

Die Erfahrung zeigt: Beim Strecken und Spannen eines Stoffes vergrößern sich die „Abstände/Löcher“ zwischen den einzelnen Fäden. Bei Beendigung des Strecks und Spannens werden sie – falls der Stoff nicht ausgeleiert ist – wieder kleiner.

Daher liegt mir der Verdacht nahe, dass bei der „Feuchtvernetzung“ eine flüssige Chemikalie in (durch Spannung und Streckung entstandene) vergrößerte Löcher dringen soll und (nach Beendigung der Spannung und Streckung) in den verkleinerten Löchern eingeschlossen bleiben soll.

Unklar beim Lesen des Walbusch-Textes ist mir, ob Feuchtvernetzung nur bei Baumwolle oder auch anderen Stoffen funktioniert; und ob den längeren Fasern kürzere Fasern hinzugemixt wurden, um Geld zu sparen oder um ein bestimmtes Materialverhalten zu erzielen.

 

 

Die Modemarke karroo schreibt auf ihrer Seite, wie ihr Hemd-Modell Eton von der Firma Cilander „non iron“-veredelt (also bügelfrei gemacht) wird: https://karroo.ch/pages/uber-eton  Wörtlich heißt es:

„Vorbehandlung

[…] Zug auf das Gewebe, Waschen unter Zug […] Waschen ohne Zug

Die Flüssig-Ammoniak-Vorbehandlung ist einer der Grundprozesse für eine sehr gute Begelfrei-Performance. [Ist Bügelfrei gemeint???] Mit dieser Vorbehandlung werden die Baumwollfasern in eine parallele Struktur gebracht. Diese Festigkeit wird erhöht und der Griff wird angenehm weich. […] Der Gewebedurchschnitt wird geöffnet und es können so die nächsten Ausrüstprozesse effektiver durchgeführt werden.“

Fazit zu Zug und Ammoniak:

Wie bei Wallbusch wird also der Hemd-Stoff gezogen.

Anders als karroo erwähnte die Modemarke Wallbusch nicht, dass sie eine Vorbehandlung mit flüssigem Ammoniak verwendet; aber das schließt nicht aus, dass sie es evtl. tut.

 

„Feuchtvernetzung

Knittern

Im Waschprozess quellen die Baumwollfasern und verändern so ihre Position. Diese Veränderung bleibt, oder muss – ohne Feuchtvernetzung der Ware – durch bügeln wettgemacht werden.

Feuchtvernetzungsprozess

Das Gewebe wird durch ein Foulard-Bad geführt, dass sowohl Katalysatoren als auch Vernetzer enthält. Die Kondensation läuft dann innerhalb von 24 Stunden bei 30 Grad Celsius ab.

Es werden durch diesen speziellen Prozess Ketten in die Faserzwischenräume appliziert, die dann wie ein Gerüst die Faser auch beim Quellen halten. Es ist sehr wichtig, dass zwischen den Ketten und der Faser noch ein genügend grosser Zwischenraum bleibt. Dadurch ist das Feuchtigkeitsmanagement und die Luftdurchlässigkeit nach wie vor gegeben.“

Fazit zu Feuchtvernetzung:

Wie bei Wallbusch wird also der Stoff mittels Feuchtvernetzung veredelt. Bei karroo wird etwas klarer, was dabei passiert: Die Löcher zwischen den Fasern werden mit „Vernetzern“/“Ketten“ gestopft. Wenn sich die Fäden mit Waschwasser vollgesaugen, können sich die Fäden nicht krumm und schief ausdehnen, sondern werden von den „Vernetzern“/“Ketten“ in Form gehalten. Ohne diese Loch-Stopfer muss man entweder hinnehmen, dass Hemden knittern oder die Knitterfalten mit einem Bügeleisen wegmachen.

 

Sind die Chemikalien (in der Vorbehandlung der flüssige Ammoniak und beim Feuchtvernetzungsprozess die „Vernetzer“/“Ketten“) umweltfreundlich, gesundheitlich unbedenklich, tierfreundlich?

karroo schreibt beim Abschnitt zu Ammoniak „Dieser Prozess ist sehr stabil. Es gibt keine Risiken.“. Welche Risiken sind gemeint? Gesundheitliche und/oder verfahrenstechnische?

karroo schreibt am Ende der Seite „Alle Prozesse sind umweltfreundlich.“ Das solte man dringend kritisch hinterfragen.

 

Bei der Feuchtvernetzung von Hemden und Bettwäsche kann z.B. das Mittel Fixapret von der Chemiefirma BASF eingesetzt werden:

https://www.chemie.de/news/528/buegelfreier-komfort-baumwoll-veredelung-haelt-textilien-in-form.html
(Genaueres zum Feuchtvernetzungsverfahren von BASF, z.B. dass als Katalysator Schwefelsäure dient)

https://www.welt.de/print-welt/article435862/Nie-wieder-buegeln.html
(Artikel zu Fixapret Advanced Performence (AP) Finish von BASF; Prinzip ähnlich wie beim Feuchtvernetzungsverfahren oder ein anderes Detail zu ihm; Artikel klingt werbend und geht nicht auf etwaige Risiken ein)

https://www.basf.com/global/documents/en/sustainability/we-drive-sustainable-solutions/quantifying-sustainability/product-carbon-footprint/BASF_Fixapret.pdf
(PDF von BASF, wo man sehen kann, dass Fixapret dafür eingesetzt wird, Bettwäsche bügelfrei zu machen)

 

 

Anscheinend hat die Firma Henkel im Jahr 2000 das Patent „EP1246868B1: Polymerdispersion mit vernetzerharz, deren herstellung und verwendung“ eingereicht, das 20 Jahre später auslief. https://patents.google.com/patent/EP1246868B1/de

In einem Patent steht ja eigentlich eine eigene Idee/Erfindung. Aber bei diesem Patent wird an einer Stelle auch der uns schon bekannte Vernetzer „Fixapret“ der Firma BASF erwähnt. Es heißt:

„Als Vernetzerharztypen eignen sich Vernetzerharze auf Basis von Hydroxymethyl-substituierten Imidazolidinonen wie das 1,3-Dimethylol-4,5-dihydroxyimidazolidinon (4,5-Dihydroxy-N,N‘-dimethylolethylenharnstoff), Hydroxymethyl-substituierten Pyrimidinonen oder Hydroxymethyl-substituierten Triazinonen oder deren Selbstkondensationsprodukte oder gemischte Kondensate aus zwei oder mehr der genannten Verbindungen, oder ein Gemisch aus zwei oder mehr der genannten Verbindungen. Derartige Vernetzerharze sind beispielsweise unter den Namen Fixapret, Stabitex, Permafresh, Sarcoset, Sumitex, Prox, Knittex, Cassurit, Neuperm oder Depremol kommerziell erhältlich.“

Henkel beleuchtet also die aktuelle Marktlage. Für uns interessant ist, dass wir nun weitere chemische Begriffe und Firmennamen haben, die wir auf Umweltfreundlichkeit, Gesundheitseffekte und Tierfreundlichkeit prüfen können.

 

Wenn man nach dem Vernetzerharz „Sarcoset“ sucht, kann man auf eine Seite namens „Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie“ (BG RCI) stoßen: https://www.bgrci.de/fachwissen-portal/themenspektrum/gefahrstoffe/toxikologische-datensaetze/details?tx_sctablesorter_pi1%5BiRowId%5D=323&cHash=088918aac81807e8a507f84a29d9e803

Man erfährt, zum eine dass Sarcoset ein Harnstoff (Dimethyloldihydroxy­ethylenharnstoff) ist – ob tierisch oder künstlich ist mir nicht klar – und dass der Stoff unter vielen Synonymen auftreten kann. Wenn man die Kurzfassung der Toxikologischen Bewertung (Stand 06/1995) (https://www.bgrci.de/fileadmin/BGRCI/Downloads/DL_Praevention/Fachwissen/Gefahrstoffe/TOXIKOLOGISCHE_BEWERTUNGEN/Bewertungen/ToxBew230-K.pdf) runterläd, erfährt man die genauere Zusammensetzung auf Seite 4 (Harnstoff, Glyoxal und Formaldehyd). Und man erfährt zudem, dass der Sarcoset an Tieren – Kanninchen, Ratten, Mäusen – getestet wird (PDF, Seite 5).

Bei den Tierversuchen an den Kanninchen wird so vorgegangen:

„Dimethyloldihydroxyethylenharnstoff wird gut aus dem Magen-Darm-Trakt,
durch die Haut und aus der Blutbahn resorbiert und zu mehr als 90 % un-
verändert im Harn innerhalb von 24 Stunden ausgeschieden. Aus mit ra-
dioaktiv markiertem Dimethyloldihydroxyethylenharnstoff (hergestellt aus
14C-markiertem Formaldehyd) behandeltem Baumwoll- oder Baumwollpo-
lyestergewebe wird bei semiokklusiver bzw. okklusiver Applikation auf die
Kaninchenhaut nach 48 Stunden in der Haut bis zu 2,6 % der Radioaktivi-
tät gefunden, geringere Mengen sind in Nieren, Leber, Blut, Harn sowie in
exhaliertem CO2 nachweisbar. Ob die Radioaktivität aus Dimethyloldi-
hydroxyethylenharnstoff, Formaldehyd oder aus anderen Abbauprodukten
stammt, lässt sich nicht entscheiden.

[…]

Dimethyloldihydroxyethylenharnstoff (45-prozentige wässrige Lösung) wirkt
beim Kaninchen an der Haut bzw. am Auge nicht reizend. Ein in der Litera-
tur mitgeteiltes abweichendes Ergebnis (stark reizend an der Haut und nur
leicht reizend am Auge des Kaninchens) ist wegen fehlender Angaben
nicht zu beurteilen.“ (PDF, Seite 5)

Kürzer gesagt:

Formaldehyd wird mit radiaktivem C14 versetzt und zu radioaktivem Sarcoset umgewandelt. Damit wird ein Baumwoll-Tuch oder Baumwollpolyester-Tuch getränkt. Das wird auf die Kanninchenhaut „appliziert“ – und zwar „semiokklusiv“ bzw. „okklusiv“. Was das bedeutet, dass das Tuch halb-geschlossen oder geschlossen aufgebracht wird, weiß ich nicht. Nach 48 Stunden wird die Radioaktivität in der Haut und diversen Organen gemessen.

Ob beim Versuch „am Auge“ gemeint ist, dass das Tuch nahe am Auge auf die Haut gedrückt wird oder die Testflüssigkeit ins Auge getropft wird, weiß ich nicht.

Bei den Tierversuchen an den Ratten wird so vorgegangen:

„Nach einmaliger oraler Applikation erweist sich Dimethyloldihydroxyethy-
lenharnstoff (45-prozentige wässrige Lösung) als gering toxisch (LD50 Ratte
oral > 7500 mg/kg Körpergewicht). Nach Inhalation einer angereicherten
Atmosphäre über 8 Stunden bei Raumtemperatur werden bei Ratten
Dyspnoe und Schleimhautreizungen beobachtet, die bei erhöhter Tempera-
tur und kürzerer Einwirkungsdauer an Intensität stark zunehmen und in Ab-
hängigkeit von der Zeit zum Tod der Versuchstiere führen. Da sich die Sub-
stanz allerdings bereits ab 40 °C zu zersetzen beginnt, ist anzunehmen,
dass die beobachteten Symptome nicht auf Dimethyloldihydroxyethylen-
harnstoff selbst, sondern auf die Zersetzungsprodukte zurückzuführen sind.“ (PDF, Seite 5)

Kürzer gesagt:

Die Ratten müssen Sarcoset trinken und einatmen. LD50 bedeutet Mittlere Letale Dosis (https://de.wikipedia.org/wiki/Letale_Dosis) und „gibt die Menge eines Stoffes oder einer Strahlung an, bei der 50 Prozent einer Population bestimmter Lebewesen sterben.“ (https://www.transgen.de/lexikon/1775.ld50-wert.html

Dann wird noch ein Versuch an Mäusen und Ratten geschildert (PDF S. 5-6). Ich denke, das erspare ich mir, wörtlich zu zitieren … Es schlägt in die selbe Kerbe: Vergiften und gucken, welche Organe in Mitleidenschaft gezogen sind.

Zudem wird auf Tests an diversen Stämmen von „Salmonella typhimurium“ (PDF S. 6) eingegangen.

Zum Menschen gibt es einen Satz:

„Dimethyloldihydroxyethylenharnstoff als wässrige Lösung kann beim Men-
schen sensibilisierend wirken; ein Teil der Patienten reagiert auch auf
Formaldehyd positiv.“ (PDF, S. 6)

Welche Menschen und Patienten? Patienten, die Medikamente mit Sarcoset nehmen? Oder Menschen, die Sarcoset freiwillig testen? Und testen sie Sarcoset in Hemden und Bettwäsche oder in Medizin?

Auf PDF-Seite 4 steht: „Dimethyloldihydroxyethylenharnstoff wird zur Pflegeleicht- und Knitterfrei-
behandlung von Baumwoll- und Baumwollpolyestergeweben eingesetzt.“ Von einem medizinischen Einsatz ist nicht die Rede. Die ganzen Tiere werden also anscheinend nichtmal für Medizin, die Tieren oder Menschen dient, gequält und getötet, (etwas über dessen ethischen Wert man diskutieren kann), sondern für einen komfortablen Lebensstil des Menschen!

Ich weiß nicht, ob die anderen Mittel für Knitterfreiheit und/oder Bügelfreiheit auch an Tieren getestet werden; also meide ich solche Produkte demnächst lieber, zu kaufen …

 

Im Übrigen ist unklar, warum genau Sarcoset Nebenwirkungen hat. Es kann an einer der Grundsubstanzen liegen oder an Verunreinigungen:

„Ob die beobachtete mutagene oder sensibilisierende Wirkung durch Dime-
thyloldihydroxyethylenharnstoff und/oder durch Formaldehyd-Verunreini-
gungen bzw. -Freisetzungen ausgelöst werden, kann aufgrund der vorlie-
genden Versuchsergebnisse nicht abschließend beurteilt werden.“ (PDF, S. 6)

Und das Quälen und Töten von Tieren für Pflegeleichtigkeit und Knitterfreiheit von Baumwolle und Baumwollpolyester-Mischgeweben ging  weiter, kann man dem Dokument, das von 1995 stammt, entnehmen:

„Im Auftrag der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie werden
zurzeit [Anmerkung von mir: also 1995] ein Mikrokerntest intraperitoneal an der Maus und eine Teratogeni-
tätsstudie oral an der Ratte durchgeführt; die Studien werden vom Haupt-
verband der gewerblichen Berufsgenossenschaften gefördert.“ (PDF, S. 6)